Interview mit Judith Mayer zum Unterschied zwischen Shiatsu und der Grinberg Methode
(Berlin, 01/2015)
Zunächst zu deiner Person, seit wann praktizierst du Shiatsu und die Grinberg Methode?
Shiatsu praktiziere ich seit 15 Jahren. Während dem Studium habe ich meine ersten Kurse gemacht und war total begeistert. Dann habe ich das in meiner Freizeit, also als Hobby weiterverfolgt, viel dazugelernt bei unterschiedlichen Lehrern und auch immer nebenbei Behandlungen gegeben.
2010 bis 2013 habe ich eine professionelle Shiatsu Ausbildung gemacht an einer Schule in Berlin, die vom Berufsverband für Shiatsu anerkannt ist.
Die Grinberg Methode habe ich 2012 zuerst als Klientin kennengelernt und war so begeistert davon, was es bei mir bewirkt hat, dass ich das auch lernen wollte. Ich war ja sowieso schon auf dem Weg, mit dem Körper zu arbeiten und fand es spannend, noch die Grinberg Methode mit dazu zu nehmen. So habe ich 2013 mit der Ausbildung zur Grinberg Praktikerin begonnen.
Was sind die Gemeinsamkeiten von Shiatsu und der Grinberg Methode?
Beide Methoden haben gemeinsam, dass wir aus einer ganzheitlichen Sichtweise mit dem Körper arbeiten, d.h. ich habe den ganzen Menschen, den ganzen Körper und das ganze System im Blick und arbeite auch damit, sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene an bestimmten Thematiken und Beschwerden. Es ist keine einmalige Angelegenheit, sondern ich begleite meistens die Klienten, die zu mir kommen über einen längeren Zeitraum, sodass ich auch sehen kann, wie sie sich verändern oder was sich in ihrem Leben verändert. Mit Begleiten meine ich, dass die Menschen zu mir kommen und dass das, was sie in den Sitzungen erleben, sich auch im Alltag zeigt und fortsetzt.
Was sind die Unterschiede von Shiatsu und der Grinberg Methode?
Von der Herangehensweise ist das Setting anders. Bei Shiatsu arbeite ich am bekleideten Körper, d.h. der Klient ist bequem angezogen und ich behandle durch die Kleidung hindurch. Wenn jemand leicht friert, bekommt er eine Decke und ich kann trotzdem auch durch die Decke behandeln. Shiatsu findet am Boden statt auf einem Futon. So kann ich sehr gut mein eigenes Körpergewicht einsetzen und auch mit Füßen, Knien oder Ellbogen behandeln. Da habe ich sehr viele Möglichkeiten.
Bei der Grinberg Methode arbeite ich an der Liege. Bevor ich direkt am unbekleideten Körper arbeite, schaue ich mir die Füße des Klienten an. Wir benutzen die Füße als wichtiges Hilfsmittel, um zu sehen, welche Themen im Leben des Klienten noch Potential haben, sich zu verändern und mehr Energie, Kraft und Möglichkeiten zu haben.
Welche Bereiche im Körper sind vielleicht verspannt oder schmerzhaft? Darauf kann ich Zeichen an den Füßen finden, z.B. wie der Fuß aussieht, wie er sich anfühlt, welche Temperatur er hat, wo vielleicht Falten sind oder Hornhaut… das sind für mich alles wichtige Hinweise.
Wie lange kommen die Klienten in der Regel zu dir?
Manche Klienten kommen nur einmal, weil sie die Methode kennen lernen wollen und dann merken, es ist vielleicht nicht das richtige für sie oder sie haben jetzt gerade nicht die Möglichkeit, weiter zu machen. Andererseits kann es auch durchaus sein, dass jemand nur einmal kommt und die Sitzung trotzdem sehr aufschlussreich und wirksam ist für ihn oder sie.
Es ist alles möglich. Ich habe auch Klienten, die über ein Jahr bei mir sind. Manche haben mit Shiatsu angefangen und sind dann zu der Grinberg Methode gewechselt oder umgekehrt. Es geht immer weiter. Es sind wie Schichten durch die man nach und nach immer noch ein Stück tiefer und weiter kommt durch die Sitzungen.
Wem würdest du Shiatsu und wem würdest du die Grinberg Methode empfehlen?
In der Tendenz glaube ich, dass Shiatsu sanfter arbeitet und wirkt und die Grinberg Methode direkter und konfrontativer. Im Shiatsu gibt es zwar auch vor jeder Behandlung ein Gespräch, in dem geklärt wird, wie es dem Klienten geht, welche Beschwerden vorliegen und in welchem Bereich eine Veränderung nötig ist. Bei der Grinberg Methode bleibe ich auch während der Sitzung ständig im Kontakt, auch durch Fragen und Anweisungen. Ich fordere den Klienten ganz direkt und aktiv auf, mitzumachen und sich einzubringen in die Sitzung, sodass es noch mehr eine Zusammenarbeit ist, als beim Shiatsu.
Ein weiterer Unterschied ist, dass wir bei der Grinberg Methode den Prozess als einen Lernprozess sehen, d.h. es ist keine Behandlung, wobei wir beim Shiatsu schon von einer Behandlung sprechen. Die Klienten kommen zu einer Grinberg Sitzung, um zu lernen wie sie ihre Verspannung oder Beschwerde selbst beeinflussen können. Also zuerst lernen sie, wie die Verspannung entsteht: durch welche Körperhaltung z.B. oder durch welche Verhärtung oder Anspannung. Oft sind es automatische Reaktionen auf bestimmte Situationen, die sich auch körperlich zeigen und bestimmte Beschwerden hervorrufen. D.h. wir erforschen gemeinsam den Körper, und ich beziehe den Klienten noch aktiver mit ein als beim Shiatsu.
Beim Shiatsu ist der Klient auch aktiv mit dabei und spürt seinen Körper, er wird aber nicht so stark dazu angeleitet. Hier behandle ich Energieleitbahnen im Körper, die Meridiane genannt werden, indem ich bestimmte Druckpunkte auf den Meridianen stimuliere. Es geht darum, eventuelle Blockaden zu lösen, sodass die Energie dort wieder freier fließen kann.
Welche Erfahrungen machen die Klienten beim Shiatsu?
Jede Behandlung ist unterschiedlich, nicht nur je nach dem, wen ich vor mir habe, sondern auch, wie es dem Klienten gerade geht und was er braucht. Meine Klienten gaben mir z.B. die Rückmeldung, dass sie sich nach einer Shiatsu Behandlung sehr entspannt fühlen, manchmal leicht, manchmal angenehm schwer, manchmal größer, lockerer, beweglicher, aufrechter, positiver, stärker… die Liste ist unendlich, welche Wirkungen Shiatsu nicht nur auf körperlicher sondern auch auf emotionaler Ebene haben kann.
Wie wird der Lernprozess der Grinberg Methode erlebt?
Genau wie beim Shiatsu kann man das nicht verallgemeinern. Es kommt ganz darauf an, wie jemand zu mir kommt, was in der Sitzung passiert. Keine einzige Grinberg Sitzung gleicht der anderen. Es kann sein, dass ich die gleiche Technik anwende und die Reaktion ganz anders ist, denn Körper sind unterschiedlich und lernen auch unterschiedlich. Sie reagieren demnach auch unterschiedlich auf Berührung.
Oft fühlen sich die Menschen in und nach einer Sitzung mit mehr Energie, Kraft und Klarheit, mehr Platz zum Atmen, innerlich ruhiger und nicht mehr so viel in Gedanken kreisend. Die Gedanken sind nicht mehr so vorherrschend, sondern sie können mehr ihren Körper spüren. Das ist auch ein wichtiges Ziel in den Sitzungen, den Körper mehr zu spüren und zu merken, was man im Körper macht, z.B. wie man atmet oder die Schultern hält oder die Muskeln im Gesicht anspannt, also eine bessere und intensivere Körperwahrnehmung zu haben.
Welches besondere Erlebnis hast du mit einem Shiatsu Klienten gemacht?
Bei Shiatsu habe ich mich auf die Behandlung von Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt spezialisiert. Das ist eine Zielgruppe, mit der es mir besonders Spaß macht, zu arbeiten. Da habe ich schon viele schöne Erlebnisse gehabt. Man behandelt eigentlich immer zwei Personen und man merkt sofort, wie das Baby auch auf die Behandlung, die einsetzende Entspannung und Wohlbefinden der Mutter reagiert. Viele Schwangere kommen mit Rückenschmerzen zu mir, denn das Gewicht nimmt zu und der Bauch zieht ins Hohlkreuz. Durch die Behandlung können sie entspannen und Erleichterung breitet sich aus. Darauf reagieren die Babys oft freudig und bewegen sich. Das ist immer sehr schön zu sehen, dass die Behandlung beiden sehr gut tut.
Aber natürlich muss man nicht schwanger sein, um zu mir zum Shiatsu zu kommen. Ich behandle auch sehr gern Männer und Frauen jeder Altersgruppe!
Aus welchen Gründen und mit welchen Zielen kommen Klienten zu dir zu einer Grinberg Sitzung?
Es sind ganz unterschiedliche Themen und ich bin jedes Mal auch wieder aufgeregt und freudig überrascht wenn ich jemand neues vor mir sitzen habe. Z.B. habe ich Klienten mit Schlafproblemen, Atemnot, Magenbeschwerden und Blähungen, Burnout, Kniebeschwerden, Kieferverspannung, Schulter-, Nacken- und Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Migräne… Andere Gründe, einen Lernprozess anzufangen sind z.B. auch Kontaktschwierigkeiten oder Probleme auf andere Menschen zuzugehen, z.B. wenn man eher schüchtern ist oder sich nicht traut in größeren Gruppen zu sprechen, Prüfungsangst usw.
Ich habe aber auch immer wieder Klienten, die einfach neugierig und an Körperarbeit interessiert sind, ihren Körper mehr spüren und auf ihn hören und etwas Neues ausprobieren wollen. Man braucht also keine Schmerzen oder Symptome oder ein bestimmtes Problem haben, um einen Lernprozess zu beginnen.
Die Grinberg Methode wurde vor ca. 20 Jahren entwickelt und ist damit noch relativ jung. Was ist das Neue oder Besondere an dieser Methode?
Ich habe es auch schon öfters erlebt und von meinen Kollegen gehört, dass viele Klienten mit chronischen Beschwerden zu Grinberg Praktikern kommen, weil sie schon viele andere Methoden ausprobiert haben, zudem waren sie beim Yoga und machen Sport, aber alles hat nicht den richtigen Durchbruch gebracht und auch die Ärzte wissen keinen Rat. Da kommt es öfter vor, dass Klienten überrascht sind, wie wirksam die Grinberg Methode ist, gerade bei solchen chronischen Sachen, die psychosomatisch sind. Denn der Klient lernt selber, wie er sich helfen kann und die Ursache des Problems ändern kann und nicht nur das Symptom kurzfristig behebt und dann aber doch wieder in die gleichen alten Muster verfällt und das Problem erneut entsteht.
Was liebst du persönlich an der Grinberg Methode?
Ich finde es toll, dass die Arbeit mit der Grinberg Methode so abwechslungsreich und jede einzelne Sitzung so kraftvoll ist. Es geht immer wieder darum, Intensität herzustellen und durch intensive Körpererfahrungen und Erlebnisse zu gehen. Das finde ich sehr bereichernd und spannend auch für mich als Praktikerin, da dabei zu sein und gemeinsam mit den Klienten das zu durchleben.
Was liebst du an einer Shiatsu Behandlung?
Als ich noch meinen alten Job als Projektmanagerin hatte, war es oft so, dass mich meine Arbeit gestresst hat. Als ich anfing, mit Shiatsu zu arbeiten, habe ich gemerkt, dass es genau umgekehrt war. Es konnte sein, dass ich vorher gestresst oder angespannt war und schon während und auch nach der Shiatsu Behandlung war ich entspannt und gleichzeitig wach und präsent. Das ist heute immer noch. Die Arbeit verlangt von mir, dass ich mich in einen entspannten, klaren, zentrierten und fokussierten Zustand bringe und in meiner eigenen Mitte bin, und das tut mir gut!
Das Interview führte Dirk Olschewski.